Geld allein baggert nicht
Der Wiederaufbau im Ahrtal wird unser langfristiges Anliegen für die kommenden Jahrzehnte sein. Statt mich über die vermeintlich geringen Fortschritte und die langsame Entwicklung zu beschweren, möchte ich in diesem Kommentar einige Beobachtungen teilen:
Die Phase nach einer Katastrophe wie der Ahrtalflut, geprägt von Blaulicht und Provisorien, ist von Natur aus schon anspruchsvoll. Der Wiederaufbau der privaten und öffentlichen Infrastruktur geht jedoch weit über den Bau von Neubaugebieten, Schulen und Kläranlagen hinaus. Diese Aufgabe kann nicht mit denselben Methoden bewältigt werden, die für die Erschließung eines Gewerbegebiets gelten. Die Komplexität und das Ausmaß der Aufgaben sind schlicht zu groß.
Selbst wenn sich die örtlichen Bauherren engagieren, stoßen sie an ihre Grenzen angesichts des Umfangs an Projekten. Multiprojektmanagement in dieser Dimension überfordert ihre Expertise. Erfahrene Multiprojektmanagement-Profis können unterstützen, aber nicht sämtliche Aspekte des Wiederaufbaus abdecken.
Der Wiederaufbau ist vielmehr ein kontinuierlicher Optimierungsprozess, der über die reine Projektdurchführung hinausgeht. Angesichts der aktuellen Phase des Wandels und der umfassenden Maßnahmen zur Klimaanpassung müssen wir uns darauf konzentrieren, nicht nur das Altbekannte wiederherzustellen.
Die gleichzeitige Planung, Finanzierung und Kommunikation eines „neuen Tals“ stellt eine gewaltige Herausforderung dar, die von der Gemeinschaft, der Verwaltung und der Wirtschaft gemeinsam bewältigt werden muss. Dies geschieht in einer Zeit, in der diese Akteure bereits inmitten eines umfassenden Transformationsprozesses stehen, unabhängig von der Flut im Ahrtal.
Ein organisatorischer Wandel ist dringend erforderlich: Wir müssen uns auf ein gemeinsames Ziel im Ahrtal einigen und von diesem rückwärts planen. Auf diese Weise können wir auch die Steuergelder am effizientesten einsetzen. Dieser organisatorische Schritt erfordert jedoch noch weitere Überlegungen.
Ich betone in jedem meiner bundesweiten Vorträge zur Sturzflut im Ahrtal: Es ist keineswegs selbstverständlich, dass ein Land bereit ist, so erhebliche Mittel für einen Wiederaufbau bereitzustellen. Wir lernen gerade, was es auf verschiedenen Ebenen bedeutet, einen Wiederaufbau nach solchen Katastrophen anzugehen. Ich fasse es gerne in dem Satz zusammen: Geld allein baggert nicht!
Ihr und euer
Markus Becker
P.S.: In Zusammenarbeit mit Prof. Guido Quelle habe ich ein Buch zu diesem Thema verfasst, das im ersten Quartal 2024 veröffentlicht wird. In diesem Buch werden wir ausführlicher auf die Themen eingehen als in diesem kurzen monatlichen Kommentar. Unser Ziel ist es, die aktuelle Situation gründlicher zu analysieren, um bessere Lösungsansätze zu entwickeln. Trotz der Herausforderungen bleibe ich optimistisch.
Bild: Dominik Ketz